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Ein Plädoyer für Friedrich Ludwig Jahn
Von PROF. DR. HARALD BRAUN, Universität Bremen
Anlaß:
Umbenennung der Grundschule Jahn-Schule in Hamburg-Eimsbüttel
Bezug: Beitrag im hamb_abendblatt.gif (654 Byte) Nr.99, 5. 15 vom 29. April 1999

"Wahre Erziehung ist ein sichergeführter Hebel des Menschengeschlechts zu besseren Stufen"
(Jahn: Deutsches Volksthum, 1810).

Sehr geehrte Frau Christa Carl
Schulleiterin der GS Jahnschule
Bogenstraße
20144 Hamburg-Eimsbüttel

Die Leistungen JAHNs (1778-1852) sind im Laufe der deutschen Geschichte extrem unterschiedlich bewertet worden. Seine Würdigung reicht von der Verehrung, mitunter überzogenen Vergötterungen seiner Anhängerschaft, den Turnern/-innen einerseits, bis zur schroffen Ablehnung von einigen seiner und unserer Zeitgenossen.
Obwohl JAHN nur acht Jahre seines Lebens öffentlich aktiv war - im 33. Lebensjahr hat er 1811 den Turnplatz in der Hasenheide geschaffen, im 41. Lebensjahr wurde er 1819 verhaftet - hat er uns ein Erbe hinterlassen, das von den Machthabern aller Epochen deutscher Geschichte in Anspruch genommen wurde: Im Kaiserreich (1871-1918) war er der königstreue Nationalist, der für sein unerschütterliches Eintreten für die Einheit Deutschlands sogar ins Gefängnis ging, von den Nazis (1933-45) wurde er als der um hundert Jahre vorausdenkende erste Nationalsozialist rnißbraucht. Ebenso wurde er von der DDR-Ideologie vereinnahmt. In der Bundesrepublik haben diverse politische Gruppierungen unterschiedliche Einordnungen vorgenommenen, die sich entweder auf seine nationale Gesinnung stützen oder seine sozialen Tendenzen hervorheben. Während der linksorientierten studentischen Kulturrevolution von 1968 ist er als Stargammler (er hat nie einen schulischen und universitären Abschluß geschafft) bezeichnet worden: heute wird gefragt, war JAHN ein Grüner? Unbestritten jedoch war stets die Anerkennung seiner Verdienste um die Schaffung des vaterländischen Turnens.

In diesem Sinne äußerte sich der große Pädagoge ADOLF DIESTERWEG, Zeitgenosse JAHNS: ,,In jeder großen Not des Vaterlandes wird man auf Jahn und seine erhabenen Ideen zurückgreifen.

Auf Jahn zurückgehen, heißt weiterschreiten". und der französische Gelehrte Dr. LORET, ein enger Freund JAHNs, der dessen Hauptwerk "Deutsches Volksthum" ins Französische übersetzte, rühmt JAHN nach, daß dieser "die Befreiung seines Vaterlandes geatmet habe, daß er bei seinen Landleuten das Gefühl der Menschenwürde erwecken wollte, daß er eine Atmosphäre reiner und ernster Jugend um sich verbreitet habe."
So ist im Laufe der geschichtlichen Entwicklung und mit der Modifizierung des Turnens - vom alle Leibesübungen umfassenden Begriff bis zur Einengung auf das Geräteturnen - bis in die heutige Zeit immer wieder von den unterschiedlichsten Standpunkten her zu JAHNs Leben und Werk Stellung bezogen worden. Es entstand ein JAHN-Bild, das sehr heterogene Züge aufweist. JAHN wollte durch "Volkserziehung das Urbild eines vollkommenen Menschen, Bürgers und Volksgliedes in jedem Einzelwesen verwirklichen. Auf alle natürlichen, geistigen und sittlichen Bedürfnisse muß sie Rücksicht nehmen, mit ihnen sich zu einem rechten, wahren und schönen Volksthumsgeist erheben... (Deutsches Volksthum).

Wenn heute behauptet wird, ,,der Bart ist ab", dann steht diesen Kritikern nur das ewiggestrige Bild des alten Turnvaters, kahlköpfig und mit langem Bart, vor Augen. Sie haben aber nicht verstanden, was der dynamische Dreiunddreißigjährige mit seinem Turnen beabsichtigte:
JAHN wollte ,,der bloß einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen (..) und im jugendlichen Zusammenleben den ganzen Menschen umfassen und ergreifen". Er hat nicht das Turnen über die geistige Ausbildung stellen, es aber auch nicht zur einseitigen ,,Drillschule" (Jahn: Deutsche Turnkunst, 1816) verkommen lassen wollen. Zu seiner Zeit wurden Leibesübungen nur an ganz wenigen Schulen unterrichtet, heute sind sie mit Fächerkanon mit 2-3 Stunden in der über 30-Stundenwoche unterrepräsentiert. ln unserer bewegungsarmen Zeit, in der das Straßenspiel verschwunden ist, genormte Spielgeräte wenig Aufforderungscharakter besitzen, Hallen-, Spiel- und Sportplätze verschlossen sind oder unter Aufsicht stehen, entspräche da nicht ,,das freie, öffentliche volkstümliche, nicht in den Wänden eines Gymnasiums eingeschlossene Turnen", wie E. M.  ARNDT sich über das JAHNsche Turnen vor 175 Jahren äußerte, den Forderungen unserer Zeit, in der sich die Jugend vom genormten und einseitigen Leistungssport abwendet und in Skate- und Snowboard, im Drachenfliegen und Freeclimbing Herausforderungen mit und in der Natur sucht?
JAHN ist 1811 mit der Jugend an unterrichtsfreien Nachmittagen aus Berlin hinaus in die Natur gewandert. Zu Beginn des Turnnachmittags auf der Hasenheide wurde Kür geturnt, d. h., die Teilnehmer durften je nach Motivation spielen, laufen, werfen, springen, klettern, balancieren, ringen. Diese Bewegungsvielfalt gab es auf dem Turnplatz. Anschließend erfolgte eine Turnrast auf dem Thie bzw. Ting, dem altgermanischen Versammlungsort freier Männer nachvollzogenen Ort auf dem Turnplatz, wo Lieder gesungen, Streitigkeiten beigelegt, Turngesetze besprochen und/oder Vorträge über deutsche Geschichte und Geographie gehört wurden. Dann folgte die Pflicht in Form von Riegenturnen. Hier wurden in strenger Ordnungsform neue Techniken oder Bewegungskonfigurationen erlernt. Diese Dreiteilung - sie hat schon gesamtunterrichtliche Züge -  war in jener Zeit eine pädagogische Glanzleistung, die, würde sie heute in unserem Sportunterricht umgesetzt, garantiert mehr Lust als Frust brächte.

Mit den pädagogischen Prinzipien ,,Selbständigkeit" und ,,.Selbsttätigkeit", die JAHN auf dem Turnplatz zu realisieren suchte, war er seiner Zeit um über hundert Jahre voraus. DIESTERWEGs Forderung (1842), ,,Zurück zu JAHN, es gibt kein besseres Vorwärts." Vorwärts" hat auch heute noch ihre Gültigkeit.  Der freie Zusammenschluß von vorwiegend Schülern und Studenten auf der Hasenheide und den anderen Turnplätzen in Deutschland war von der sozialen Herkunft uneinheitlich: Die jugendlichen Turnerscharen rekrutierten sich, so BORNEMANN 1814, ,,aus allen Ständen (..) vom Waisenknaben bis zum Fürstensohne". Sie unterwarfen sich freiwillig - dann aber bindend - der von JAHN und seinem Turnrat erstellten Turnordnung, sprachen sich mit "Du" an und kleideten sich in altdeutscher Tracht, um die seit Jahrhunderten bestehende, in verschiedene Stände unterteilte Gesellschaftsordnung zu überwinden.
JAHN war aufgrund der politischen Situation Deutschlands Nationalist, er wäre es als Bürger ganz gleich welchen anderen Staates auch gewesen. Es darf aber unterstellt werden, daß er neben sozialen Randgruppen unserer Gesellschaft auch ausländische Mitbürger integriert hätte. Unsere heutigen Vereinssatzungen, die ja letztendlich auf der JAHNschen Turnordnung basieren, lassen dies ausdrücklich zu.
Das JAHNsche Turnen (1811 - 19) muß als gelungener Versuch bezeichnet werden, der im außerschulischen Bereich mit eigenen Gesetzen Formen des Gemeinschaftsbewußtseins entwickelt hat, der damals wie heute seine Gültigkeit besitzt.
Die im o.g. Zeitungsbericht die Fakten verdrehende Interpretation ist unwürdig. Zu Recht heißt es darin, daß einige Sätze aus dem Gesamtwerk herausgerissen sind und somit natürlich gegen ihn verwandt werden können. JAHN hat in seiner Zeit für seine Zeit gelebt, und da lag Deutschland am Boden, von Napoleon und seinen Heeren okkupiert. Jedes Volk hat das Recht, in Freiheit zu leben, dafür kämpfte JAHN, da sind auch mal heftige Worte gefallen, aber er sagt auch ausdrücklich in seinem Hauptwerk ,,Deutsches Volksthum", daß er nur einen Verteidigungskrieg befürworte, nicht aber einen Angriffskrieg.

Was kann JAHN dafür, wenn die Nazis sein Werk für ihre verbrecherische Ideologie uminterpretierten?
Ich unterstelle, daß die Befürworter der Umbenennung Ihrer Schule JAHNs volkstümliche -nicht völkische im Sinne der NS-Ideologie - Idee nicht verstanden und seine Schriften gewiß nicht gelesen haben, sondern nur diesen gegen ihn gerichteten Schlaglichtern aufsitzen. Seine Erziehungsabsichten, einen geistig, körperlich und unter gleichen sozialen Bedingungen ausgeglichenen Menschen zu erziehen, haben gerade heute ihre Berechtigen bei der Integration unserer neuen jungen Bundesbürger. Wenn der Zeitzeuge Storjohann äußert, daß leistungsschwächere Schüler in der NS-Zeit ,,Kübel von Beschimpfungen hätten über sich ergehen lassen müssen, kamen diese die Würde des Menschen verachtenden Äußerungen doch nicht von JAHN. sondern von Nazi-Dummköpfen.

Ich konstatiere, daß die Absicht, der Hamburger Jahnschule einen neuen Namen zu geben, auf einer oberflächlichen Betrachtungsweise JAHNs und dessen einseitiger Ideologisierung in der NS-Zeit basiert. Ich bitte Sie deshalb, Ihren Entschluß, die Hamburger Jahnschule umzubenennen, zu überdenken und das Andenken an die historische Leistung dieses auch nach 200 Jahren noch aktuellen - wenn er verstanden wird - Turnpädagogen zu wahren.

Mit freundlichen Grüßen Ihr Harald Braun

(Hervorhebungen: GYMmedia)

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