25. August 2009
Minsk, Weißrussland
Rhythmische Gymnastik
Zwischen Weltcup-Serie und Gymnastik-WM
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Auch 2009 - ein Kanajewa-Jahr, sicher auch nach der bevorstehenden WM!
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Die Serie von 8 FIG-Weltcups im nacholympischen Jahr 2009 ist - kurz vor dem Jahreshöhepunkt, den Gymnastik-Weltmeisterschaften Anfang September im japanischen Mie - abgeschlossen.
Es war erneut ein Jahr der schier erdrückenden Dominanz der russischen Athletinnen, angeführt von der Olympiasiegerin Jewgenia KANAJEWA, die in der Gesamtbilanz ihrer besten vier Wettbewerbe 2009 in Minsk als Welcupbeste aller vier Handgeräte geehrt wurde, und sich bei ihren insgesamt fünf Teilnahmen nur einmal, von der ukrainischen Mehrkampfweltmeisterin Anna BESSONOWA (mit dem Reifen in Portimao) geschlagen geben musste, ansonsten alles gewann, einschließlich aller Europameistertitel in Baku, und World Games-Siege in Kaoshiung...
Die Anzahl von 8 Weltcups, plus 7 Grand Prixs, plus Europameisterschaft, plus World Games - allein zwischen März und August März bis August - stellt jedoch ein dringend reformbedürftiges internationales Wettkampfprogramm für die Elite dar.
Gedanken-Gymnastik zwischen Weltcup und Weltmeisterschaft
- von Eckhard Herholz, GYMmedia INTERNATIONAL
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Ein verrücktes nach-olympisches Jahr
Gemessen an dieser, für die Gymnastinnen unzumutbaren, Wettkampfhäufigkeit von insgesamt über 50 (!!)Wettkampftagen - ohne die sehr aufwändige Reisezeit - und dies in einem Zeitraum eines nur halben Jahres, stehen dazu in den meisten (west-) europäischen Ländern öffentliche Wirksamkeit und Präsenz der gymnastischen Grazien geradezu in einem erschreckenden Mißverhältnis.
Nur in den wenigen führenden Gymnastiknationen, wie Russland, Ukraine, Weißrussland und Aserbaidschan scheint diesbezüglich die Welt in Ordnung:
* Von dort kommen fast alle Leistungsträgerinnen.
* Dort übertragen die elektronischen Medien flächenhaft die internationalen Weltcups und Grand Prixs, selbst nationalen Großereignisse.
* Dort verdient die Szene Geld, und so existiert dort zusätzlich ein monetäres Mäzenatentum, welches sich durch die Spitzenleistungen ihrer Gymnastinnen auch in hohem, gesellschaftlichem Stellenwert der Akteurinnen und in deren Trainigsbedingungen niederschlägt.
Ein Unterschied zum "Rest der Welt" wie Tag und Nacht!
Selbst die
ehemalige Spitzennation Bulgarien - abgesehen von kleineren Hoffnungsmomenten, ist weit von einstiger Größe entfernt.
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Caroline Weber - Österreichs beste Gymnastin aller Zeiten!
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Im gesamten deutschsprachigen Raum scheint es momentan mit der österreichischen Olympiateilnehmerin Caroline Weber die einzige Weltklassegymnastin von internationalem Format zu geben, was aber auch dortzulande alles andere, aber absolut keinen Medienrummel auslöst. Obwohl sich auch dort der nationale Fachverband redlich und professionell bemüht, mit tagesaktuellen Nachrichten alle einschlägigen Redaktionen zu füttern - doch mangels Finalteilnahmen oder Siegen eben kaum eine öffentliche, angemessene Widerspiegelung findet.
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Magdalena Brzeska, deutsche Gymnastik nur noch auf dem Sockel der Geschichte?
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So gibt es auch dort die (fast) völlige Ignoranz der Medien, denn diese schönste aller weiblichen Individual-Sportarten lebt nun mal auch nur von Siegen und/oder starken Persönlichkeiten.
Wenn aber z. B. ein nationaler Sportverband wie der deutsche seine Spitzensportstrategie (fast) ausschließlich auf die Gruppe ausrichtet, kommt das eben auch einem publizistischen Exodus gleich:
Kein Gesicht mehr, wie einst das der schönen Magdalena (Brzeska),
... keine Geschichten, die man daran knüpfen könnte, somit kaum noch eine nationale, mediale Widerspiegelung, keine Vorbildwirkung für den Nachwuchs...!
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... wer kennt sie noch, die Namen der letzten erfolgreichsten deutschen Gruppe bei Olympia (Sydney 2000) ...
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Selbst Deutschlands größte Nachrichtenagentur hat inzwischen defacto die Berichterstattung über die Rhythmische Gymnastik im Jahresverlauf eingestellt, da so gut wie keine Zeitung oder Online-Redaktion von Gymnastik-Meldungen Notiz nimmt! Der Markt ist hart!
Im digitalen (Internet-) Mikrokosmos der Sportart begnügt man sich vorwiegend nur mit Meldungen über eigenes Auftreten und lobt sich dort vorwiegend selbst.
Das Problem der "Namenlosen" ...
Und obwohl eine Gruppe der Rhythmischen Gymnastik ein höchst-ästhetisches, künstlerisch und sportlich atemberaubendes Gebilde ist - medial bleibt es doch eine verschworene, kleine Gemeinschaft der "Namenlosen", deren Hauptantrieb, bei größtem und aufwändigem Trainingsaufwand die eigene Beseeltheit und Besessenheit für diese anmutige Disziplin ist.
Zweifellos ist das mehr als ungerecht!
Wenn man aber in dieser Sportart zu Olympia will, muss man bei kontinentalen und Weltmeisterschaften bemerkt werden, durch Leistung auffallen, gemessen am internationalen Top-Niveau, der "Anderen"!
Leistung aber entsteht vorwiegend zu Hause, in den Heimatvereinen und durch langfristig gelegte Grundlagen, bevor man sie später dann in Lehrgangssystemen oder geeigneten Konzentrationsmaßnahmen veredeln kann.
Zweifellos gibt es solche Standorte und regionalen Zentren in Deutschland, wie Schmiden, Wattenscheid, Ulm, Bremen, Halle/Leipzig. ...
Wenn man also wieder bemerkt werden will, muss man d o r t investieren, die infrastrukturellen Strukturen v o r O r t stärken, regionale Synergien provozieren, unterstützen...
Stattdessen stresst sich die Sportart oft selbst mit kleinlichen Differenzen zwischen Vereinsegoismen und Verbandspolitik.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Bedingungen vor Ort:
Gemessen an der Weltspitze sind die personellen, finanziellen und strukturellen Bedingungen für die deutsche Rhythmische Gymnastik überall eher bescheiden.
Zudem wird in Deutschland eine zukunftsorientierte Spitzensportförderungen in einer temporär erfolglosen Disziplin durch die deutschen Förderungsprinzipen noch zusätzlich eher bestraft, als gefördert.
Statt hier der Fachverband an dieser Stelle die Unterstützung verstärkt, werden zusätzlich Trainerstellen gestrichen, bleiben strategische Leitungsfunktionen unbesetzt und wird mit einer grundsätzlich falschen Verbandsstrategie das Pferd von hinten aufgezäumt:
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Deutsche Juniorinnen 2009
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Es sei doch leichter, mit einer Gruppe wieder zurück in die "Olympic Family" zu gelangen, als mit Einzelgymnastinnen (- was zweifellos stimmt) - deswegen stelle man auch die Gruppe ins Zentrum erstrangigen Bemühungen der Verbandsstrategie, so der Deutsche Turner-Bund.
Ein klassisches Eigentor, ... denn:
Auch die Stärke einer Gruppe ist direkt proportional und ausschließlich abhängig von der Stärke der Leistungslandschaft der Einzelindividuen!
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Anika Rejek, Leverkusen (RTB)
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Nur wenn man strategische diese von Klein auf fördert, stärkt man die Sportart - leistungsfähige Gruppen sind daraus viel eher zu entwickeln!
Und ohne nationale Vorbilder und Gesichter von internationalem Rang ist in solch einer emotionalen Sportart, die von der Begeisterung der Mädchen und ihres Umfeldes lebt, kein Blumentopf zu gewinnen.
Auch eine aktuelle 7-fache Deutsche Meisterin, wie Anika Rejek, kann dieses Manko nicht ausgleichen, denn:
Die deutsche Rhythmische Gymnastik verharrt weiter im Amateurstatus. Überall fehlen auch Trainerinnen; seit annähernd einem Jahrzehnt hat keine deutsche Gymnastik-Trainerin eine A- oder B-Lizenz neu erworben, Ausländerinnen geben den Ton an.
„Der DTB tut zu wenig in Sachen Ausbildung“, musste selbst die dafür im DTB verantwortliche Vize-Präsidentin Spitzensport Rosemarie Napp in einem FAZ-Interview resigniert feststellen.
Wird daran nichts geändert, nicht konsequenter mehr investiert, bleibt eigentlich nur noch übrig, die Mädchen vor allzu ehrgeizigen Funktionären zu schützen, statt sie mit überzogenen Forderungen zu gefährden.
Dann lieber mit Spaß und Freude zur Gymnastrada statt zur Olympiade, doch - Deutschland ist 2010 Gastgeber der Europameisterschaften...!
Viel Zeit ist da nicht mehr, weder bis zur WM in zwei Wochen noch bis zu Olympia 2012!
(C) E. Herholz, GYMmedia INTERNATIONAL
* ... die beiden letzten Weltcups vor der WM in Japan:
> Weltcup Minsk und davor der > Weltcup Kiew .