26. Januar 2015  
Chemnitz, Deutschland  
Gerätturnen

Sven Kwiatkowski - Ex-Champion mit Fluggefühl

Einst beherrschte Sven KWIATKOWSKI selbst den Kosmos in der internationalen Kunstturnsphäre. Erst gut ein Jahrzehnt ist es her, dass er selbst den Kovacs-Salto ohne und mit Drehungen über der Reckstange virtuos beherrschte. Heute betreut er als Trainer mit Andreas BRETSCHNEIDER einen sächsischen Athleten, der die Turnwelt mit dem derzeit risikovollsten Reckelement der extra deswegen im Schwierigkeitskatalog neu eingeführten "H"-Kategorie zelebriert: den Kovacs-Salto mit Doppelschraube.
War der gebürtige Freiberger aus Sachsen 1998 mit gerade mal 21 Jahren noch überraschend Deutscher Mehrkampfmeister und Turn-Festsieger (München) geworden, so wiederholte er diesen Doppeltriumph 2002 in Leipzig, stand auch dazwischen dreimal und damit ununterbrochen stets auf dem Medaillenpodest der besten nationalen Mehrkämpfer, war bei Welrmeisterschaften stets eine Bank für die Mannschaft und stand im Olympiateam 2004 in Athen, das damals den 8. Rang belegte.

Das Bundesliga-Team der KTV Chemnitz (2001), mit Sven Kwiatkowski (3. v. rechts) und seinem Trainer Henry Vogel (re außen), als in Chemnitz in der 1. Bundesliga noch gejubelt werden konnte...

Gerade gab es Ende des letzten Jahrzehnts die Auswirkungen der Finanzkrise in der Gesellschaft zu spüren, da hatte der noch weiterhin für das Kunstturnen als internationaler Kampfrichter tätige Ex-Athlet ein positives Schlüsselerlebnis: ein Trainingslehrgang der deutschen Junioren in Colorado, USA, was ihn überraschend bewog, doch den Weg als engagierter Kunstturntrainer einzuschlagen.
Im fünften Jahr also ist Sven Kwiatkowski nun bereits mit Andreas Bretschneider aufs Engste verbunden: "Anfangs hatte Andreas schon einige psychische Schwächen, insbesondere unter Wettkampfstress. Nie war er das 'ultimative' Talent, und selten gelang es ihm anfangs, seine Trainingsleistungen im Wettkampf zu zeigen. Das hat sich aber zuletzt erstaunlich geändert: Aus dem früher eher sprunghaften Typ ist reifer und abgeklärter Athlet geworden. Seit zwei Jahren arbeitet Andreas mit einer Mentaltrainerin zusammen und seither gibt es deutliche Verbesserungen. Das hat nun ja auch die internationale Öffentlichkeit erstaunt zur Kenntnis genommen!"

Das "Ding von Nanning"
Alles hat nun dieses Chemnitzer Duo 2015 auf die Weltmeisterschaften am Ende des vorolympischen Jahres in Glasgow ausgerichtet. Auch wenn es dort vorrangig um das mannschaftsdienliche Turnen geht, um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren: "Andreas will aber schon jetzt im Frühjahr Zeichen setzten, hat ja am Reck schon zur letzten WM 2014 mit seinem 'Ding in Nanning' schon für extreme Aufmerksamkeit gesorgt, und dann noch mal so richtig beim DTB-Pokal in Stuttgart, was es jetzt im Frühjahr neu zu untermauern gilt: Also EM in Montpellier als Zwischenziel, davor Start beim National Teamcup in Saarbrücken und dem Challenge Cup in Cottbus."

Trainer Sven KWIATKOWSKI (Mitte) mit seinen Schützlingen Andreas Bretschneider (links) im Jahr 2013, als Andreas in Cottbus seinen ersten Weltcupsieg feierte und im Sommer zur Universiade im russischen Kasan 'endlich' mal ein internationales Top-Ergebnis im Mehrkampf (8.) realisierte. Rechts Ivan Rittschik, ein weiterer junger Hoffnungsträger in der Kwiatkowski-Riege in Chemnitz ...

Trainer Sven Kwiatkowski hat neben Andreas Brettschneider mit Ivan Rittschik, Florian Lindner, Stephan Kodrini und Sebastian Bock noch weitere hoffnungsvolle Kader des KTV Chemnitz zu betreuen. Deswegen geht es ihm natürlich sehr nahe, als sich jetzt sein Erst-Liga-Verein MTT Chemnitz/Halle eben aus der 1. Bundesliga abmelden musste: "Klar, tut das weh, ich war doch selbst als Akiver leidenschaftlich in der Bundesliga zu Gange. Wenn man aber ewig finanziell am Limit ist, macht es irgendwie keinen Sinn mehr. Ich halte es für wichtiger, auf den Nachwuchs zu setzen. Für die Anschlusskader war es natürlich gut, Bewährungsproben in den Liga-Wettkämpfen zu haben. Für die international aktiven Turner dagegen bleibt es schwierig, auch alle nationalen Wettkampftermine voll wahrzunehmen."
Auch die örtlichen, ziemlich beengten trainingstechnischen Gegebenheiten der KTV Chemnitz sind momentan nicht gerade stimulierend: Seit nahezu vier Jahrzehnten hat sich hier, was die Räumlichkeiten angeht, kaum etwas getan: "Was haben wir schon gesessen und beraten und überlegt ... Eigentlich wäre unser Neubau hier in Chemnitz längst an der Reihe gewesen. Wenn aber von den dafür für  a l l e  Sportarten vorgesehenen 16 Millionen Bundesmitteln zwar acht Millionen für die Kunstturner schon ausgegeben werden, sind diese Mittel eben in den Turnhallenneubau des Bundeszentrums Kienbaum geflossen, der in diesem Jahr übergeben werden soll."

Momentan wird trotzdem inensiv am sportlichen Niveau seiner Akteure gebastelt. Für Andreas Bretschneider sieht sein Trainer erstrangig den Ausbau auch der Mehrkampfleistung zur maximalen Absicherung der WM-Mannschaftsleistung vor. Wenn er auch das Pauschenpferd nicht unbedingt als "Baustelle", so doch aber als schwächstes Gerät seines Schützlinges sieht, gibt es hier eine Menge zu tun. Doch an Boden, Barren und Sprung, zuletzt auch mit Zuwächsen an den Ringen, hat Andreas Bretschneider ganz gute Karten.
Und am Reck hat er ja bereits seine vielbeachtete Duftmarke gesetzt: Sein Schwierigkeritsindex liegt so im Bereich von 7.3  - 7.4  - zum Vergleich: der "fliegende Holländer" Epke Zonderland z. B. kann im Bereich von 7.7  -  7.9 turnen - da kann man doch schon mal bei der EM (April in Montpellier) ein wenig an den Medaillenbereich denken, entsprechende Tagesform und weiter wachsende mentale Stärke vorausgesetzt. Mit seinem flugerfahrenen und abgeklärten Trainer Sven Kwiatkowski hätte Bretschneider dafür auch den richtigen Partner.
(c) gymmedia / -ehe-