Heute vor 45 Jahren: Welturaufführung des Jägersaltos

Bernd Jäger

Erfinder Bernd Jäger löste Entwicklung des Flugwesens am Reck aus ...
Der Thüringer Bernd JÄGER aus Stadtroda zeigte am Finaltag (27. Oktober) zu den 18. Turn-Weltmeisterschaften 1974 im bulgarischen Warna einen Salto vorwärts gegrätscht zum Hang am Reck, der als sogenannter "JÄGERSALTO" Eingang in die internationale Turnterminologie fand, wie kaum ein anderer.
Als erstes Flugelement der Geschichte löste es eine ganze Kette weiterer Kreationen mit Lösen des Griffes und Wiedererfassen der Reckstange aus.
So folgten zur EM 1977 in Wilnius mit Stojan Deltschew der "Deltschew"-Salto, dessen gebückte Variante ein Jahr später zur WM in Strasbourg Eberhard Gienger zum "Gienger"-Salto veredelte ...

FIG-Diplom 1974: Anerkennung des "JÄGERSALTOS" als Konventionalausdruck

In direkter Folge dieses Vorwärts-Saltos waren es zur Moskauer WM 1981 der Deutsche Daniel Winkler (TSV Heusenstamm) und gleichzeitig auch der Russe Alexander Pogorelow, die den gestreckten Jägersalto mit einer ganzen Drehung versahen. Weil Winkler zur WM früher auftrat, als der spätere Reck-Vize-Weltmeister von 1983 Pogorelow, heißt diese gestreckte Version des Jägersaltos mit 1/1-Drehung auch seitdem "Winkler"-Salto.
Zu einem Zeitpunkt, als es am Reck, außer vielleicht der "Lissitzki-Bücke", im Prinzip kaum weiträumige Bewegungen mit Lösen des Griffes, und noch keine Salto-Bewegungen gab, kam Bernd Jägers damaliger Potsdamer Trainer beim Armeesportklub "ASK Vorwärts", Richard Karstedt, auf die Idee, die "Janzrolle" der Frauen, die die Berliner Olympiasiegerin von 1972 (München) Karin Janz damals in ihrer Münchner olympischen Goldübung am Stufenbarren als eine Grätschrolle zwischen oberem und unterem Holm hatte, auf das Reck zu übertragen.

1974: Bernd Jäger, Trainer Richard Karstedt beim ASK 'Vorwärts' in Potsdam

Ein Jahr harte Arbeit unter Zeitdruck folgte, an das sich Trainer Richard Karstedt - der im November 2019 bei Potsdam seinen 85. Geburtstag begeht - heute wie folgt erinnert: "Damals gab es noch kein Element am Reck mit einer vollen Breitenachsendrehung, nur um die Längenachse. Wer den Bernd kennt, wusste, dass er mit seinen relativ proportional kurzen Extremitäten Nachteile an Boden und Sprung hatte. Wie kriegt man einen solchen Jungen trotzdem in eine Nationalmannschaft? Wir mussten also seine anderen Vorzüge nutzen. Der Bernd trieb z. B. den Rückschwung am Reck in ziemliche Höhen, wie kein anderer. Da wäre also Zeit nach dem Grifflösen und der Saltobewegung, die Stange wieder rechtzeitig zu greifen und mit einem runden Schwung fortzusetzen. Das schafften außer ihm damals nicht mal die Spezialisten, wie Wolfgang Thüne oder Wolfgang Klotz ... Dabei standen wir arg unter Zeitdruck und waren kurz vor der WM ziemlich in Not. Denn bei solchen koordinativ anspruchsvollen Elementen kann man nicht einfach in Serie schrubben, denn nach maximal 10 Versuchen geht die mentale Sensibilisierung ins Negative, die Fehlversuche häufen sich .... aber irgendwie hat er dann das Ding dann am 27. Oktober 1974, im Reckfinale in Warna hingekriegt, ... wenn auch sonst nicht die ganze Übung gelang.!"

Bernd Jäger (1974): erste Breitenachsendrehung nach hohem Rückschwung

Bereits kurz zuvor, schon im September 1974, zeigte der damals 22-Jährige dieses neue Element erstmals bei einem Länderkampf gegen die Schweiz in Altstätten.
Doch als 5 Wochen später zum Jahreshöhepunkt in Bulgarien Bernd Jäger zunächst im Barrenfinale eine Medaille knapp verpasste, dann aber im Reckfinale alles 'rausreißen' wollte, ... klappte zwar seine Weltneuheit, - ... seinen "alten" Abgang, Doppelsalto mit ganzer Drehung aber, landete er ... auf dem Hosenboden!
Eberhard Gienger (BRD) wurde Weltmeister, Jägers damaliger Potsdamer Clubkamerad Wolfgang Thüne wurde "Vize" und er - ein ziemlich enttäuschter Fünfter. Doch als Entschädigung wurde der Begriff "JÄGERSALTO" fast zu einem geflügelten Wort im modernen Kunstturnen der Männer, wie auch später der Frauen (Stufenbarren).

Bernd JÄGER errang zwei Jahre später zu den Olympischen Spielen 1976 in Montreal mit der DDR-Riege die Bronzemedaille, verpasste zwar als Vierter am Barren knapp Einzelbronze, doch - obwohl ihm der Jägersalto am Reck gut gelang - ins Reckfinale schaffte er es nicht:
* GYM v i d e o --: Bernd Jäger, Reckübung OS 1974, Montreal

* Youtube (21.611)

Doch was damals noch einer Weltsensation gleichkam, ist heute (fast) zu einem Grundlagenelement, zumindest in fortgeschrittenen Kunstturnerkarrieren, geworden.
Das "Flugwesen aber - es entwickelte sich -" seit Bernd Jägers erster Breitenachsendrehung atemberaubend weiter.

Der Erfinder, der nach seinem Weggang als überaus erfolgreicher Trainer von Weltklasseleuten in Potsdam auch temporär Nationaltrainer in Finnland war, wohnt seit 2001 in Rinteln und betreute dort erfolgreich den niedersächsischen Nachwuchs (siehe Foto). Als Stammgast bei nationalen und internationalen Kunstturnveranstaltungen ist er stetiger Gast.
Ende 2019 wurde er von einem Turnclub aus Namibia zur "Aufbauhilfe" nach Afrika gerufen ...!
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